Vom 26. Okt. bis zum 13. Nov. 1998 waren wir in China unterwegs. Unsere
Reiseeindrücke sind zwangsläufig subjektiv. Es ist das erste asiatische
Land, das wir gesehen haben. Bisher sind wir erst in Europa und den USA gereist.
Diese Reise kann bei Imholz unter dem Namen 'Auf den Spuren der Kaiser' gebucht werden.
In Abänderung des Programms waren wir einige Tage länger in Guangzhou, da
Ernst dort geschäftlich zu tun hatte.
Die Reise führte von Beijing (Peking) über Xian, Shanghai, Suzhou, Hangzhou
und Guilin nach Guangzhou (Kanton) und Hongkong.
Unsere Gruppe bestand nur aus uns zweien. Auf den Transfers von einer Stadt zur
anderen waren wir allein. In jeder Stadt wurden wir aber schon am Flugplatz oder am
Bahnhof von unserem(r) lokalen, Reiseleiter(in) (mit sehr guten Deutschkenntnissen)
und von einem Auto oder Bus mit Chauffeur erwartet. Sie begleiteten uns zu den
Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt und wussten auch sonst sehr viel über China
zu erzählen. Es gab uns ein Gefühl, wie wenn wir zu Freunden zu Besuch
kämen.
Wir übernachteten immer in Erstklasshotels. An zwei Orten hatten wir sogar eine
ganze Suite zu unserer Verfügung. Das Frühstück im Hotel und ein
typisch chinesisches Mittagessen irgendwo in der Stadt waren schon für uns
reserviert.
Wir hatten Glück mit dem Wetter. Auf der ganzen Reise hat es nie geregnet. Die
Temperatur lagen tagsüber fast immer leicht unter oder leicht über 20 Grad
Celsius.
Reisen |
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In den Ländern, die wir bisher bereist haben, haben wir entweder etwas von der
Sprache verstanden oder mindestens die Schrift lesen können. Dies war in China
beides nicht der Fall.
Wenn sich z.B. auf einem Bahnbillet, einem Wegweiser oder auf dem Beipackzettel
eines Medikamentes nur chinesische Schriftzeichen befinden, steht man schon etwas
blöd da. Hin und wieder ist etwas zweisprachig (chinesisch und englisch)
angeschrieben. Bei einem gänzlich unverständlichen Text ist manchmal eine
Zahl lesbar, deren Bedeutung man erraten kann.
Unsere sprach- und ortskundigen Reisebegleiter waren uns jedenfalls eine grosse Hilfe.
Es gibt auch ein sehr nützliches Buch, das uns von unserer Führerin
empfohlen worden ist:
Lydia Chen, Ying Bian Taschendolmetscher Chinesisch Verlag für fremdsprachige Literatur, Beijing ISBN 7-119-00964-8.In den Hotels konnten wir uns gut auf Englisch verständigen. Da wir in den Strassen sofort aufgefallen sind, haben uns immer wieder Leute mit 'Hello' begrüsst oder auf englisch gefragt, von wo wir kommen. Es ist auffallend, wie viel die Chinesen über unser Land wissen.
Das Mittagessen auf der Reise war für uns jeweils im voraus bestellt worden. Es
bestand aus vielen kleinen Schälchen mit chinesischen Köstlichkeiten. Wir
konnten von allem etwas probieren. Was es war, wussten wir nicht so genau, aber es
hat alles sehr appetitlich ausgesehen und gut geschmeckt.
Bis zum Schluss der Reise konnten wir schon ganz gut mit Stäbchen essen. Aber
vielleicht war es besser, dass unsere Reiseleiter immer etwas weiter weg von uns an
einem anderen Tisch assen, sonst hätten sie uns bestimmt ausgelacht.
In China wird ziemlich alles gegessen, was essbar ist. Deshalb hatte Ernst, als er geschäftlich in China war, mit seinem chinesischen Kollegen, der längere Zeit in der Schweiz war, ein Abkommen getroffen. Er sagte zu ihm, ich versuche von allen Speisen. Wenn etwas gut schmeckt, könnte es sein, dass ich dich frage, was es ist. Wenn es etwas ist, das man in der Schweiz nicht essen würde, sag mir einfach, es sei Fleisch. Zwei- oder dreimal hat er dann zu Ernst gesagt: "it's just meat" (es ist einfach Fleisch).
Ein grosses Erlebnis war es, als wir mit Ernst's chinesischem Kollegen und seiner
Familie in ein Restaurant in der Altstadt von Guangzhou gingen. Wir mussten ein paar
Treppen hochsteigen, die Decke war ganz niedrig. Das Restaurant war voll von
Menschen. Dort haben wir u.a. "Ginger Milk" (so etwas wie mit Ingwer
aromatisierte süsse Crème) gegessen.
Caramelisierte Ananas- oder Süsskartoffel-Stückchen sind mir auch in
Erinnerung geblieben.
Wenn man in einer chinesischen Stadt auf die Strasse geht, begibt man sich in
Lebensgefahr. Ein eigenes Auto zu haben, bleibt zwar für die meisten Leute noch
ein Wunschtraum. Trotzdem gibt es schon so viele Autos, dass es zu Verkehrsstaus
kommt. Ausser den Autos gibt es noch Busse, Motorräder, Fahrräder und
Fussgänger auf der Strasse, häufig alles durcheinander. Es ist auch sehr
wichtig zu wissen, dass alles von allen Richtungen gleichzeitig kommen kann.
Es gilt das Recht des Stärkeren. Fahrräder weichen Fussgängern
womöglich aus, Autos dagegen verlangsamen nicht einmal ihre Fahrt. Autos
weichen anderen Autos aus (soweit es geht), nutzen aber jeden Millimeter, um
vorwärts zu kommen. Auf einer Strasse werden soviel Spuren geschaffen, wie es
braucht. Etwas, wie es bei uns die Vortrittsregeln, scheint es in China nicht zu
geben. Oder: die Leute haben aufgegeben, sich daran zu halten, weil sie sonst gar
nicht mehr vorwärts kommen würden?
Wenn man als Fussgänger die Strasse überqueren muss, ist es am besten,
abzuwarten bis kein Auto mehr kommt und dann, zwischen den Fahrrädern durch
langsam aber sicher vorwärts zu gehen. Wenn sich doch ein Auto nähert,
bleibt man auf dem Strich zwischen den Spuren stehen. Wenn dann die Autos vorne und
hinten im vollen Tempo durchfahren, hat man den Ort zum Stehenbleiben richtig
gewählt.
Ein Bild wird mir in Erinnerung bleiben: 2 Kinder im Kindergartenalter, die sich an der
Hand gefasst hatten und durch den Verkehr auf die andere Strassenseite gerannt sind.
Es sah aus wie auf Kriegsbildern.
Das Erstaunliche ist, wie sich verzwickte Situationen (fast) immer wieder auflösen
und der Verkehr (in Zentimeter-Distanz) aneinander vorbeifliesst. Auf unserer Reise
haben wir relativ wenig Unfälle gesehen, im Ganzen vielleicht zehn. Im
zähflüssigen Stadtverkehr waren es meistens nur Blechschäden. Am
schlimmsten waren Unfälle vom Typ Motorrad gegen Bus. Jedenfalls waren wir
froh, dass wir einen Chauffeur hatten, der uns sicher in der Stadt herumfuhr.
Eine chinesische Erfindung, die man auch bei uns einführen sollte, sind die
Zeitanzeigen neben den Verkehrsampeln. Neben den Ampeln zählt eine Anzeige die
Sekunden hinunter, wie lange die Grün- bzw. die Rotphase noch dauert. So wird
man nicht jedesmal vom Gelblicht erschreckt.
Auch die Lastfahrräder haben mir gefallen. Ich habe mir schon manchmal Gedanken
gemacht, wie ich schwerere oder sperrige Güter mit dem Fahrrad in den Garten
bringen kann. Ich habe mich dann jedesmal entschlossen, lieber das Auto zu nehmen.
Mit den chinesischen dreirädrigen Fahrrädern wäre es kein Problem.
Von einer Stadt zur nächsten sind wir meistens mit dem Flugzeug geflogen, da die
Distanzen sehr gross sind.
Das Fliegen in China war ein besonderes Erlebnis: Schon der Flug der Swissair-Maschine
von Zürich nach Beijing war etwas ungewöhnlich. Unser Flugzeug startete in
Zürich wegen günstigen Höhenwinden 20 Min. zu spät, um nicht vor
6.00 Uhr morgens in Beijing zu sein (Nachtlandeverbot). Als die Maschine dann neben
dem Flugplatz auf Voltenhöhe vorbeiflog und anschliessend in Pistenrichtung
eindrehte, dachten wir, das kann doch nicht wahr sein. Aber sie flog
tatsächlich so an, wie wir es mit 'unserem' Kleinflugzeug gewohnt sind.
Auf den Inlandflügen hatten wir alles moderne Grossraumflugzeuge (Airbus oder
Boeing). Die chinesischen Piloten haben sich über dem Startflugplatz auf die
vorgeschriebene Flughöhe hochgeschraubt. Diese wurde dann exakt eingehalten,
egal ob das Flugzeug dann genau an der Wolkenobergrenze (eine Zone, die
normalerweise grössere Turbulenzen aufweist) flog. Von der Flugkontrolle eine
andere Höhe zu verlangen, wie es bei uns in einem solchen Fall üblich ist,
wäre in China beinahe unmöglich. Über dem Zielflugplatz schraubte
sich das Flugzeug dann wieder herunter um zu landen.
In China kann man sehr leicht krank werden.
Typisch für die chinesischen Gärten, die wir in Shanghai und Suzhou gesehen
haben, ist der Einbezug der Gartenlandschaft in die Architektur der darinliegenden
Gebäude. Aus dem Innern der Gebäude gleicht der Blick in den Garten mit den
Jahreszeiten welchselden Bildern an der Wand. Draussen können auch bei Regen von
gedeckten Wandelgängen und Pavillons aus Pflanzen, besonders schön geformte
Steine und Teiche bewundert werden. In den Teichen hat es Seerosen oder Lotuspflanzen,
dazwischen schwimmen Goldfische.
Sogar in den Hotels befindet sich vielfach im Innenhof ein Garten.
Am Abend wurden an manchen Orten Lichterketten angezündet oder mit Laserlicht
gespielt. Dadurch entstand eine festliche Stimmung (wie bei uns um Weihnachten herum).
Die Chinesen lieben die bunten Farben, so dass neben den vorwiegend gelben Lichtern
auch blaue oder grüne Lichterketten vorhanden sind, was für uns wieder eher
ungewohnt ist.
Bei den touristischen Sehenswürdigkeiten befinden sich meistens viele
Verkaufsstände. Von dort ertönte jedesmal schon von weitem ein vielstimmiges
'Hello'. Vielleicht kam anschliessend noch die Frage, von wo wir kommen. Und schon
versuchte uns jeder etwas zu zeigen, um es uns zu verkaufen. Ein Wort, dass wir sehr
schnell auf chinesisch lernen mussten war 'puo siesie', das heisst 'nein danke'.
In jeder Stadt wurde uns ein typischen Gewerbe gezeigt. Dabei konnten wir viel über
die Herstellung der Güter und über die Beurteilung ihrer Qualität
lernen. Anschliessend wurden wir jeweils in einen Laden geführt, in dem die so
hergestellten Gegenstände zum Verkauf angeboten wurden.
Die Chinesen sind geborene Händler. Mit Ausreden hat man fast keine Chancen. Auf
unsere Einwände haben wir folgende Antworten erhalten:
Was in China auf den ersten Blick auffällt, ist die Fröhlichkeit der Menschen. Kühlschrank, Waschmaschine, Auto oder Fernseher sind nicht selbstverständlich. In den Geschäften und auf den Baustellen wird rund um die Uhr 7 Tage in der Woche gearbeitet. Wir haben Läden gesehen, in denen zwischen dem Warenangebot eine Schlafstelle eingerichtet ist. Trotzdem scheinen die Leute glücklicher zu sein als wir hier in der Schweiz. Irgendwie ist die innere Einstellung wichtiger als die äusseren Umstände.
Erstaunlich ist, wie Chinesen Veränderungen gegenüberstehen. Sie
sehen darin eine Chance und interessieren sich dafür. Wenn ihnen etwas
einleuchtet, lernen sie sehr schnell. (Wenn nicht, sagt dir ein Chinese, ich werde
darüber nachdenken. Auf deutsch heisst das, du kannst es vergessen).
Bei uns herrscht schon von vorn herein Skepsis bis Ablehnung vor.
Dieser Mentalitätsunterschied macht mir etwas Angst. Wenn sich China (und nicht
nur China) im gleichen Tempo weiterentwickelt wie in den letzten Jahren, werden wir
mit unserer Einstellung sehr schnell ins Hintertreffen geraten.
Bei uns gibt es fast unüberwindbare Gegensätze, z.B. zwischen links und
rechts. Die einen schwören auf reine Marktwirtschaft, die anderen auf
staatliche Kontrolle.
In China scheint zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft kein Widerspruch zu
bestehen. China ist nach Aussagen der Politiker auf dem Weg zur sozialistischen
Gesellschaft, aber auf der Strasse herrscht reine Marktwirtschaft (ohne Subventionen,
Absprachen und Kartelle, wie wir sie bei uns kennen). Es gibt dieses Entweder/Oder
nicht. Alles hat seine Vor- und Nachteile. In allem ist etwas Gutes und etwas weniger
Gutes und alles kann nebeneinander existieren.
Bei uns wird um ein Gesetz jahrelang gestritten, ohne dass jemand weiss, wie es sich
in der Praxis auswirkt. Wenn es dann einmal eingeführt ist und sich Probleme
zeigen, an die man vorher nicht gedacht hat, kann es wegen des grossen Aufwandes nicht
gleich wieder geändert werden.
In China wird viel mehr experimentiert und geschaut, was sich am besten bewährt:
Zum Beispiel gibt es verschiedene Formen von Sonderwirtschaftszonen. So können
die Modelle miteinander verglichen werden.
Ein anderes Beispiel: In einem Dorf dürfen die Behörden versuchsweise
demokratisch gewählt werden. Das Modell bewährt sich: die korrupten Beamten
werden nicht wieder gewählt.
Wenn sich etwas nicht bewährt, kann ein Recht auch wieder eingeschränkt
werden.